Literaturtipp: Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao
Monday 27 January 2025
Eine Kollegin von mir liest im Unterricht mit ihren Schülern den Roman Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao, geschrieben von dem US-amerikanischen Autor Junot Diaz. Der 2007 erschienene Roman wurde 2009 von Eva Kemper ins Deutsche übersetzt.
Der Roman ist eine drei Generationen umspannende Familiensaga über Immigranten aus der Dominikanischen Republik, die sich im US-Bundesstaat New Jersey ein neues Leben aufbauen. Die Rezensionen zu dem Roman waren nach der deutschen Erstveröffentlichung überwiegend positiv, und auch den Schülern und Schülerinnen meiner Kollegin hat der Roman gefallen. Einige Schüler haben das Werk für ihre mündliche Prüfung (IO) genutzt, ein Beispiel dafür werde ich nächste Woche veröffentlichen. Durch die wechselnden Erzählperspektiven und Rückblenden sowie die Verwendung einer sehr eigenen Sprache, bietet der Roman eine ganze Reihe an schriftstellerischen Entscheidungen, deren Analyse lohnenswert ist und den Roman zudem absolut tauglich für den Lang&Lit-Kurs machen. Falls Ihnen eventuell noch ein Werk in Ihrem Programm fehlt oder Sie eines Ihrer Werke austauschen möchten, dann wäre Junot Diaz' Roman durchaus eine Option. Der Themenkomplex der Migration verbunden mit der Frage nach der eigenen Identität im Spannungsfeld verschiedener Kulturen liefert zahlreiche Analysemöglichkeiten und Verbindungen zu nicht-literarischen "bodies of work". Das IO, das ich im Rahmen meines nächsten Updates vorstellen werde, verbindet zum Beispiel einen Textausschnitt aus Oscar Wao mit Szenen aus dem koreanischen Film Parasite aus dem Jahr 2019. Diese schwarze Komödie des Regisseurs Bong Joon-ho war ein großer Erfolg bei Publikum und Kritikern und wurde mit mehr als 250 Film- und Festivalpreisen ausgezeichnet.
Leseprobe
Rezensionen (Quelle Wikipedia)
Martin Zähringer nennt in seiner Besprechung für die Neue Zürcher Zeitung Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao eine Familiengeschichte, die in kunstvoll verschachtelter Perspektivik erzählt ist und die gleichzeitig widerständige und aufsässige Erinnerungsarbeit sei. Auch Christopher Tayler sieht in der Rezension für die britische Zeitung The Guardian in den wechselnden Erzählperspektiven und Rückblenden den Reiz des Romans: In dem Moment, in dem sich der Leser frage, ob Oscars hoffnungslose Verliebtheiten den Roman tragen könnten, rücke plötzlich seine Schwester Lola in den Mittelpunkt, erst dann erfahre man von den Erlebnissen, die die Mutter der Geschwister geprägt habe, und schließlich erfahre man auch vom Schicksal der Großeltern.
Georg Diez weist in seiner in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Rezension darauf hin, dass die Magie dieses wunderbaren Romans in der rotzigen Beiläufigkeit liege, mit der diese tragische Geschichte erzählt werde. Auch dank der Übersetzung von Eva Kemper habe die Sprache dieses Romans eine Rhythmus und einen Beat, der der englischen Elastizität geschuldet ist, aber vom spanischen Padamm, Padamm angetrieben sei. Dem Lob an die Übersetzerin schließt sich auch Klaus Brinkbäumer in der Spiegel-Kritik an: Die wüste Englisch-Spanisch-Mischung in ein deutsch-spanisches Abenteuer zu verwandeln habe Eva Kemper ähnlich exakt und lässig hinbekommen wie Díaz das Original.
Aus Sicht von Christian Seiler, die er in seiner Kritik für Die Zeit erläutert, ist der Roman ein furioser Mix aus Trashkultur und magischem Realismus und Junot Díaz ein fantastischer Erzähler, der durch die in die Erzählung „eingebackenen“ spanischen Worte und Brocken zu einer authentischen Immigrantensprache finde. Seiler ist jedoch der Ansicht, dass es die Figuren seien, die den Roman groß und außergewöhnlich machen und nennt dafür beispielhaft Oscars Mutter Beli, die aus Trotz, Willen und Kurven bestehe, Oscars Urgroßtante La Inca, die den Zwängen der Diktatur nicht weiche, und Oscars Schwester, die sich mit ihrer Mutter in dauerhaftem Krieg befinde.
Tobias Döring kann in seiner Besprechung für die Frankfurter Allgemeine Zeitung die allgemeine Euphorie über diesen Roman nicht teilen. Aus seiner Sicht handele es sich um pubertär aufgedrehte Testosteronprosa im übersteuerten Ton eines großspurigen Erzählers, bei der der Leser nur das Ende des Romans herbeisehne. Aus Sicht von Döring ist Junot Díaz zu früh zum multikulturellen Vorzeigeautor hochgejubelt worden, über das simple Handlungsgerüst könnten auch exotische Kulisse und amerikanisches Ghetto-Idyll nicht hinwegtäuschen.