"Ich bin kein Kostüm"

Friday 1 July 2022

Plakatreihe „Ich bin kein Kostüm!“

Im NDR-Nachtcafé erzählte die Sängerin Ronja Maltzahn vor kurzem von ihrer Ausladung von einer "Fridays for Future"-Demonstration, auf der sie eigentlich hätte auftreten sollen. Doch weil sie als Weiße Rastalocken trägt, wurde ihr Auftritt von der Klimaschutzorganisation kurzfristig abgesagt. Maltzahn traf die Absage wie ein Blitz, denn nichts läge ihr ferner, so erklärte die Sängerin in der Talkshow, als mit ihrer Frisur den schwarzen Widerstandskampf bagatellisieren zu wollen. "Fridays for Future" hatte der Künstlerin mitgeteilt: „Wenn eine weiße Person Dreadlocks trägt, dann handelt es sich um kulturelle Aneignung, da wir als weiße Menschen uns aufgrund unserer Privilegien nicht mit der Geschichte oder dem kollektiven Trauma der Unterdrückung auseinandersetzen müssen.“ Der Begriff der kulturellen Aneignung war der Sängerin bis dahin nach eigener Aussage nicht bekannt. Seit ihrer Ausladung hat sie sich nun um so intensiver mit dieser Thematik beschäftigt. 

Dreadlocks - Warum sie bei Weißen oft kritisiert werden - Panorama - SZ.de 

Wie immer man zu dem Konzept der kulturellen Aneignung steht, die Thematik ist in jedem Fall für den Lang&Lit-Kurs interessant. Sie finden hier auf dem Subject Site zu dem Thema  auch schon einen Beitrag: Kulturelle Aneignung 

Nachdem ich das NDR-Nachtcafé mit Ronja Maltzahn gesehen hatte, bin ich bei der Suche im Netz dann auf die Kampagne „Ich bin kein Kostüm!“ gestoßen. Aus der Sicht von Lang&Lit-Lehrern ist dies natürlich nicht nur eine Kampagne, sondern zugleich ein wunderbarer "body of work". Die Kampagne wurde im Rahmen des deutschen Straßenkarnevals aus den USA übernommen und ins Deutsche übersetzt. Die Plakate sollen Menschen dafür sensibilisieren, dass die Bilder, die mit bestimmten Kostümierungen aufgegriffen werden, Rassismuss und stereotypes Denken stärken. Europäer haben bestimmte Bilder benutzt, um Ausbeutung und Unterdrückung von bestimmten Menschengruppen zu rechtfertigen. Somit ist das Tragen des "Indianerkostüms" aus Sicht der Kampagnen-Autoren nicht harmlos, sondern transportiert die koloniale Sichtweise auf die Ureinwohner Amerikas, die von Diskriminierung und Romantisierung zugleich geprägt ist, an die nächste Generation weiter. Die betrifft auch andere Kostüme, die reale Menschengruppen stigmatisieren, sie zu den "Anderen" machen und Ungleichbehandlungen rechtfertigen.

Eine Reihe von Kurs-Konzepten werden in der Kampagne ganz offensichtlich aufgegriffen: Es geht vor allem um Identität, aber auch um die kulturelle Perspektive. Es geht darum, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir von anderen gesehen werden. Es geht auch um (kulturelle) Macht, um Vorurteile und wer entscheidet, wer und wie wir sind. Diese Thematik wird in vielen literarischen Werken aufgegriffen, mir fällt sofort Frischs "Andorra" ein, nach wie vor eines meiner bevorzugten Dramen im Unterricht. Ich denke, dass diese Plakatreihe mit vielen literarischen Werken für das Individual Oral kombinierbar ist.