Extended Essay "Abiturreden"
Monday 15 November 2021
Bei einer Abschlussfeier der University of Michigan hielt Joseph Brodsky im Jahre 1988, ein Jahr nach seiner Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis, eine Rede, in der er zu den Absolventinnen und Absolventen nicht nur über Literatur, sondern auch über das Leben sprach.
Diese Rede gab Ralph Schock, Literaturredakteur beim Saarländischen Rundfunk, die Idee zu der Reihe „Reden an die Abiturienten“, eine Reihe, die auch anknüpfen sollte an die im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert in Deutschland verbreitete Tradition der von Literaten gehaltenen Schulreden. Noch heute gehören zum Beispiel die Schulreden von Jean Paul und Johann Gottfried Herder zu einem festen Bestandteil des Kanons für das Studium der Literatur- und Erziehungswissenschaften.
Die Reihe wurde inzwischen zu einer Institution. Gemeinsam bitten alljährlich das Ministerium für Bildung, Familie, Frauen und Kultur des Saarlandes, der Saarländische Rundfunk und die Union Stiftung anerkannte deutschsprachige Autorinnen und Autoren, zu den Absolventen des jeweiligen Abschlussjahrgangs zu sprechen. Zu dieser Veranstaltung werden die hundert besten Abiturientinnen und Abiturienten des Bundeslandes eingeladen.
Die Reihe begann im Jahre 2000 mit einer medienkritischen Rede von Birgit Vanderbeke. Im darauf folgenden Jahr befasste sich Herta Müller mit dem unterschiedlichen Charakter von Grenzen. Guntram Vesper sprach über die Gefahr des Verdurstens in einer Welt, die im Überfluss von Waren und Spaß zu ertrinken droht und Dieter Wellershoff im Jahre 2003 über den Wert eines selbst geschaffenen Lebenssinns in einer unüberschaubar gewordenen Welt. Raoul Schrott weitete eine Publikumsbeschimpfung zu einer Zivilisations- und Gesellschaftskritik aus. Rechtsradikalismus und Zivilcourage machte Wilhelm Genazino zum Thema seiner Abiturrede im Jahr 2005. Ulrike Kolb ermunterte, sich wie ein Akrobat in die Zirkuskuppel aufzuschwingen, die Selbsterkenntnis zu wagen, um nicht in der Masse unterzugehen. Feridun Zaimoglu sprach über die Wahrheit des wirklichen Lebens und warnte vor dem billigen Ausweg des Zynismus. Im Jahr 2008 schließlich plädierte Ulrich Peltzer für den Mut, die Gegenwart zu leben und den eigenen Weg zu gehen, auch gegen gesellschaftliche Erwartungen. 2010 hielt Juli Zeh ihre Rede „Das Mögliche und die Möglichkeiten“, in der sie unter anderem mit Schrotts "Abiturientenbeschimpfung" abrechnet und sich auf die Seite der Jugendlichen schlägt.
Der hier veröffentlichte Extended Essay nimmt die Reden von Raoul Schrott und Juli Zeh unter der folgenden Fragestellung genauer unter die Lupe:
Mit welchen sprachlichen Mitteln wird das Thema Individualität in den Abiturreden „Der wölfische Hunger, Über das Alter der Jugend“ von Raoul Schrott (2004) und „Das Mögliche und die Möglichkeiten“ von Juli Zeh (2010) behandelt und inwiefern spiegelt die Einschätzung der Redner den Zeitgeist adäquat wider?
Lesen Sie den Essay hier.